In der öffentlichen Diskussion um die Swiss GAAP FER steht meist die Anwendung bei grösseren Organisationen im Zentrum. Dabei liegt der eigentliche Fokus der schweizerischen Fachempfehlungen auf kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Dieser Artikel soll aufzeigen, wieso die Anwendung der Swiss GAAP FER auch für kleine Unternehmen empfehlenswert sein kann.
Die Swiss GAAP FER sind ein prinzipienorientierter Rechnungslegungsstandard, welcher die Besonderheiten von Schweizer Unternehmen berücksichtigt. In der Einführung zur Broschüre positionieren sie sich selbst folgendermassen: «Die Swiss GAAP FER fokussieren sich auf die Rechnungslegung kleiner und mittelgrosser Organisationen und Unternehmensgruppen mit nationaler Ausstrahlung.» Es werden also zwei Schwerpunkte definiert:
- Ausrichtung auf die Bedürfnisse von KMU und deren Stakeholdern
- Nationaler Fokus auf die Schweiz
Selbstverständlich wird die Anwendung des Regelwerks auch für internationale und/oder grosse Unternehmen nicht ausgeschlossen. Aber sie müssen einen überschaubaren, prinzipienbasierten und auf die schweizerischen Gegebenheiten ausgerichteten Standard akzeptieren und die sich allenfalls stellenden Herausforderungen durch zusätzliche Offenlegungen oder anderweitige Massnahmen kompensieren. Dieser Spagat gelingt der Praxis aber in vielen Fällen sehr gut.
Vorteile der Swiss GAAP FER für Kleinunternehmen
Verbesserung der finanziellen Führung
Informationen aus der betrieblichen Rechnungslegung, insbesondere Erfolgsgrössen, bilden eine zentrale Basis unternehmerischer Entscheidungen. Angefangen bei Planung und Kalkulation, über Erfolgsmessung und Incentivierung bis hin zur Gewinnverteilung liefert das Reporting die finanzielle Entscheidungsgrundlage. Diese Entscheidungen allein auf eine am Vorsichtsprinzip orientierte und mit weitreichenden Spielräumen versehene Rechnungslegung nach dem Obligationenrecht abzustützen, dürfte in vielen Fällen nicht zum gewünschten Ergebnis führen.1
Ein gutes Management steht ohne verlässliche Zahlen vor folgenden Herausforderungen:
- Will ein Unternehmen verlässlich kalkulieren, werden Nebenrechnungen bzw. eine von der bilanziellen Abbildung (nach OR) losgelöste kalkulatorische Berechnung erforderlich.
- Die nach dem Vorsichtsprinzip vorgeschriebenen Abwertungen von Vermögenswerten verschleiern die tatsächliche Profitabilität der vorgenommenen Investitionen und ein realitätsnahes Investitionscontrolling.
- Willkürlich gebildete (und aufgelöste) Stille Reserven erschweren den Vergleich zwischen Planung und Zielerreichung und führen regelmässig zu intransparenten «Normalisierungen» von Ergebnissen.
- Die vorhandenen Spielräume gefährden insgesamt die Integrität von Anreiz- und Vergütungsmodellen und können zu Diskussionen um die tatsächliche Realität führen.
- Durch die Abweichung zwischen betriebswirtschaftlichen Management Earnings und vorsichtsorientierter, auf steuerliche Minimierung bedachter OR-Bilanzierung kommt es zu Interessenskonflikten und Misstrauen zwischen dem Management und den Eigentümern. Gleiches gilt, wenn Minderheitsaktionäre vorhanden sind – nicht zuletzt, deswegen hat der Gesetzgeber ihnen das Recht eingeräumt, einen Abschluss nach anerkannten Standards einzufordern.
Die am True and Fair View orientierten Swiss GAAP FER kennen viele dieser Probleme nicht oder nur in abgeschwächter Form. Die Wahrheit ist der wichtigste Grundsatz. Der Abschluss soll ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanzierungs- und Ertragslage der Unternehmung vermitteln (sogenannte True and Fair View).2
In der Praxis wird das eigene Unternehmen oft nur auf Basis von unzureichend abgegrenzten, unvollständigen unterjährigen Auswertungen finanziell gesteuert. Die Bilanzierung steht als primär steuerliche Übung daneben. Dabei soll auch bei einer Bilanzierung nach Swiss GAAP FER die Steuerbilanz weiterhin so bleiben wie sie ist., denn gerade in Kleinunternehmen mit oftmals angespannter Liquidität spielen steuerliche Überlegungen eine grosse Rolle. Aber die betriebswirtschaftliche Steuerung wird signifikant verbessert.
Internes und externes Qualitätssignal
Unternehmen, die ihre Buchhaltung im Griff haben, sind tendenziell die erfolgreicheren Organisationen. Denn mit einem aussagekräftigen Finanzbericht wird viel eher klar, wo man eigentlich steht. Und daraus wird wieder erkennbar, wo Problembereiche und Verbesserungspotenziale liegen. Wird dann korrigierend eingegriffen, ist der Erfolg von Massnahmen erkennbar, die Entwicklung motiviert, und ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess beginnt.3
Anstatt intransparenter Ergebnisglättung über mehrere Perioden hinweg, steht bei Anwendung der Swiss GAAP FER die betriebswirtschaftliche Realität im Vordergrund. Die Transparenz wird gesteigert und der Finanzbereich zu einem wertvollen Partner für das Management.
Auch die externen Geldgeber nehmen solche Veränderungen wahr und erkennen in einer Bilanzierung nach Swiss GAAP FER oftmals eine Selbstverpflichtung zu Qualität und Transparenz mit dem entsprechenden Zuwachs an Vertrauen.
Die Kern-FER
Das Regelwerk sieht speziell für KMU weitreichende Erleichterungen vor. Anwender, welche zwei der nachstehenden Kriterien in zwei aufeinander folgenden Jahren nicht überschreiten, dürfen sich ausschliesslich auf die Kern-FER beschränken:
- Bilanzsumme von CHF 10 Millionen
- Jahresumsatz von CHF 20 Millionen
- 50 Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt
Kleinunternehmen erhalten damit das Wahlrecht nur das Rahmenkonzept und die Standards Swiss GAAP FER 1 bis 6 anzuwenden. Dies reduziert sowohl die Komplexität wie auch der zeitliche und monetäre Aufwand für KMU erheblich.
Handelt es sich beim anwendenden Unternehmen um eine Unternehmensgruppe oder eine besondere Branche, sind zusätzlich Swiss GAAP FER 30 (Konzernrechnung) oder der betreffende branchenbezogene Standard (z.B. für Versicherungen) zu berücksichtigen.
Pragmatische Regelungen zur Konzernrechnung
Auch nach Einführung des neuen Aktienrechtsrechts per 1. Januar 2023 enthält das Obligationenrecht keine Regelungen zur Konzernrechnungslegung. Deshalb hat der Bundesrat bereits 2012 u.a. die Swiss GAAP FER in seine Verordnung über die anerkannten Standards zur Rechnungslegung (VASR) aufgenommen.
Ein «Konzern» kann auch in kleinen Verhältnissen schnell entstehen. Eine aus steuerlichen oder haftungsrechtlichen Gründen vorgenommene Aufteilung des Betriebes auf zwei Gesellschaften reicht hierzu aus. Banken verlangen beim Vorhandensein mehrerer Gesellschaften heutzutage oftmals die Vorlage konsolidierter Zahlen. Das ist verständlich, denn sie haben in zahlreichen Fällen, beispielsweise bei Swissair, Enron oder Wirecard, schlechte Erfahrungen mit nur unzureichend konsolidierten Konzernverhältnissen gemacht. Sie erwarten vom Gläubiger entsprechend bereits frühzeitig die Einführung eines Verlässlichen Finanzreportings, welches die Gruppenverhältnisse angemessen abbildet.
Die Swiss GAAP FER stellen dabei mit Swiss GAAP FER 30 einen überschaubaren, auf KMU-Verhältnisse ausgerichteten Standard zur Konsolidierung bereit.
Fazit
Die Trägerin der Standards, die Stiftung für Fachempfehlungen zur Rechnungslegung, führt in regelmässigen Abständen eine Erhebung zur Anwendung der Swiss GAAP FER durch. Gemäss der Studie aus dem Jahr 2018 wird der Aufwand für die Umstellung auf eine Bilanzierung nach FER in der Praxis in der Regel überschätzt. 44 % der Studienteilnehmer, welche noch keinen Accountingstandard anwenden, gaben an mit einer Projektdauer von 7 bis über 12 Monaten zu rechnen. Bei den Unternehmen, welche bereits umgestellt hatten, gaben 30 % an, dass das Projekt bereits innerhalb von 3 Monaten und weitere 33 % innerhalb von 6 Monaten abgeschlossen werden konnte.4
Zusammengefasst sind die Vorteile der Swiss GAAP FER also folgende:
- Betriebswirtschaftlich ausgerichtete Rechnungslegung und Verbesserung der finanziellen Führung
- Internes und externes Qualitätssignal
- Erleichterungen bei Anwendung der Kern-FER
- Überschaubare und pragmatische Regelungen zur Konzernrechnung
- Pragmatische Umsetzung und überschaubarer Aufwand
Eine Bilanzierung nach True and Fair View bietet auch für Kleinunternehmen eine Reihe von Vorteilen. Insbesondere aufgrund ihrer Ausrichtung auf KMU in der Schweiz werden dabei für viele Gesellschaften die Swiss GAAP FER der richtige Rechnungslegungsstandard sein.
Fussnoten
1 Leibfried, Prof. Dr. Peter (2022), Swiss GAAP FER für Kleinunternehmen, in: Expert Focus 2022/08, S. 341-344.
2 Leimgruber J., Prochinig U. (2021), Bilanz- und Erfolgsanalyse, S. 19.
3 Vgl. Leibfried (2022).
4 Vgl. https://www.fer.ch/content/uploads/2016/11/FER-Studie_final.pdf, S. 47.